Wann kommt die Musterfeststellungsklage? Die aktuellen Diskussionen rund um Abgasskandal und Dieselgate lassen auch am Ende der 18. Legislaturperiode den Ruf nach einem Kollektiv-Rechtsbehelf in der Zivilprozessordnung nicht verstummen. Wenn es die Musterfeststellungsklage in den neuen Koalitionsvertrag schafft, könnte eine entsprechende Ergänzung der ZPO im Jahr 2019 oder 2020 in Kraft treten.
Ursprünglicher Vorschlag aus dem Jahr 2013
Die erste Initiative zur Einführung des kollektiven Rechtsschutzes in die ZPO stammt aus dem Jahr 2013. Kurz vor Ende der 17. Legislaturperiode brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Entwurf für ein Gesetz über die Einführung von Gruppenverfahren in den Bundestag ein (BT-Drs. 17/13756, pdf), kam damit aber nicht über die erste Beratung im Plenum hinaus. Ein Jahr später wiederholte die Fraktion ihren Vorschlag (BT-Drs. 18/1464, pdf). Diesmal erhielt die Idee größere Aufmerksamkeit. Der Rechtsausschuss des Bundestages holte im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im März 2015 eine Reihe von Stellungnahmen ein. Das Echo der Sachverständigen fiel allerdings gemischt aus und führte letztlich dazu, dass der Gesetzesvorschlag im November 2015 vom Bundestag abgelehnt wurde.
Kollektiver Rechtsschutz: Frischer Wind durch den Abgasskandal
Ein Jahr später flammte die Diskussion im Zuge des Abgasskandals wieder auf. Die Befürworter des Gruppenverfahrens verwiesen darauf, es fehle gegenwärtig an einem niedrigschwelligen Zugang zu den Gerichten, der für Verbraucher realistisch nutzbar sei. Dies führe zu einem unerwünschten Anreiz zum unternehmerischen Rechtsbruch. Kritiker des Kollektivverfahrens erwiderten, eine solche Klage passe nicht in die ZPO, und ihre Effektivität lasse letztlich doch zu wünschen übrig. Die Koalitionsparteien waren sich ihrerseits uneins über Sinn und Unsinn einer Kollektivklage und verfolgten die Thematik daher nicht gemeinsam weiter.
Musterfeststellungsklage: Verbandsklage statt Gruppenverfahren
Vor diesem Hintergrund ging nunmehr das Bundesjustizministerium in die Initiative und veröffentlichte Ende Juli 2017 einen Diskussionsentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage in die ZPO (pdf). Der Entwurf enthält eine Reihe von Parallelen zum ursprünglichen Vorschlag eines Gruppenverfahrens, geht aber an mehreren Stellen auch deutlich davon ab:
- Das Gruppenverfahren nach dem Grünen-Vorschlag wollte einen Leistungs- oder (Teil-) Feststellungsantrag über Tatsachen- oder Rechtsfragen ermöglichen. Die Musterfeststellungsklage beschränkt sich nunmehr auf die Feststellung anspruchserheblicher Tatsachen.
- Im vorgeschlagenen Gruppenverfahren hätten auch individuell Betroffene als Gruppenkläger auftreten können. Nunmehr sollen ausschließlich Verbände klagebefugt sein.
- Das Gruppenverfahren sah einen zentralen Gruppenkläger vor und wollte die anderen Anspruchsprätendenten als sog. Teilnehmer zulassen. Demgegenüber verlangt die Musterfeststellungsklage nunmehr von den individuell Betroffenen nicht mehr eine echte Teilnahme am Verfahren, sondern nur eine Anmeldung zum Klageregister.
Zur Effektivität der Musterfeststellungsklage
Die Musterfeststellungsklage nach dem nunmehr veröffentlichten Diskussionsentwurf setzt an entscheidender Stelle eine deutlich niedrigere Zugangsschwelle als der Vorschlag zum Gruppenverfahren: Wer als Betroffener von einem verbraucherfreundlichen Urteil profitieren möchte, soll keinen Anwalt mehr hinzuziehen müssen, sondern sich selbst zum Klageregister anmelden können. Die Kosten dafür sollen nur noch 10 € betragen. Anschließend kann sich der Betroffene zurücklehnen und den Ausgang des Verfahrens abwarten. Ergeht ein stattgebendes Urteil, kann er es als bindende Präzedenz für sich nutzen. Damit hat er freilich noch keinen Titel in eigener Sache in der Hand, sondern muss den eigenen Anspruch im Zweifel selbst einklagen. Darin liegt eine nicht zu unterschätzende Grenze der Musterfeststellungsklage: Verbraucher sind traditionell extrem klageavers; ob eine teilweise Vorklärung des Falles daran etwas ändert, erscheint zweifelhaft. Das musterfeststellungsbeklagte Unternehmen kann auch anderweitig strategisch vorgehen. Die Erfahrungen mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) haben gezeigt, dass Musterverfahren u.a. durch Rechtsmittel über Jahre verschleppt werden können.
Legal Tech statt Musterfeststellungsklage?
Angesichts dieser Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung könnten womöglich auch in Zukunft viele Betroffene ihre Anspruch lieber unter Inkaufnahme eines Abschlags mit Hilfe eines Legal-Tech-Unternehmen durchsetzen. Im Abgasskandal etwa plant das Unternehmen myright die Einreichung einer ersten „Sammelklage“ für 30.000 Anspruchsteller im September 2017. Unter kollektivem Rechtsschutz versteht man dort schlichtweg § 260 ZPO. Darin heißt es:
Mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten können, auch wenn sie auf verschiedenen Gründen beruhen, in einer Klage verbunden werden, wenn für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig und dieselbe Prozessart zulässig ist.
Diese Vorschrift – ursprünglich § 232 CPO – ist übrigens seit 1879 in Kraft.