ADR und ODR aus Sicht eines Unternehmers

In einem Artikel für den Blog des ODR-Unternehmens Modria skizziert der englische Jurist Graham Ross mögliche unerwünschte Nebeneffekte der AS-Richtlinie und der OS-Verordnung der Europäischen Union. Häufig stünden am Beginn eines Gesetzgebungsprozesses sehr lohnenswerte Ziele. Gleichzeitig sei bei der Endfassung von Rechtsakten zu fragen, inwieweit sie diese Ziele auch tatsächlich erreichen werden. Ross schreibt seinen Beitrag aus der Perspektive eines ODR-Unternehmers mit eigenen Interessen an der Entwicklung eines ODR-Marktes. Dennoch bringt er einige überlegenswerte Punkte auf, die der Gesetzgeber bei der Umsetzung der AS-Richtlinie in ein Verbraucherstreitbeilegungsgesetz im Blick behalten könnte.

Ertüchtigung oder Entmündigung von Verbrauchern?

Eine wesentliche Gefahr der AS-Richtlinie sieht Ross darin, dass sie Verbraucher hinsichtlich der Verfügbarkeit eines Schlichtungsverfahrens täuschen könnten. Ross zufolge könnten Verbraucher aufgrund der Hinweise von eigentlich nicht schlichtungswilligen Unternehmern auf die OS-Plattform der Europäischen Union womöglich irrtümlich davon ausgehen, dieser konkrete Unternehmer sei auch im Streitfall zu einer Schlichtung bereit.

Ein weiteres Problem könnte sich in dem nicht unwahrscheinlichen Fall stellen, dass sich ein Unternehmen zunächst zur Schlichtung bereit erklärt, aber später – womöglich aufgrund einer unerwartet hohen Anzahl eingegangener Beschwerden – seine Geschäftspolitik ändert und sich der Verbraucherschlichtung verweigert. Dann wäre es durchaus denkbar, dass einzelne Verbraucher ein Geschäft im Vertrauen auf die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens abschließen, sich aber nachher einem wenig kooperationswilligen Unternehmer gegenüber sehen. Diese Gefahr dürfte indes einem freiwilligen Streitbeilegungssystem immanent und vom Gesetzgeber kaum sinnvoll zu verhindern sein.

Folgen der EU-Gesetzgebung für Innovationen im Bereich ODR

Wesentlich bedeutsamer erscheint vor diesem Hintergrund der zweite Kernaspekt der Kritik von Ross: Er befürchtet, der Anspruch der Europäischen Union zur Etablierung von Online-Streitbeilegung werde sich in der Förderung elektronischer Kommunikation erschöpfen und dabei eine Vielzahl weiterer technologischer Möglichkeiten übergehen, die Forschung und Praxis im Bereich ODR bereits erschlossen haben. So sei nicht nur unklar, was die EU alles unter dem Begriff der Online-Streitbeilegung verstehe, sondern Festlegungen wie die Zielvorgabe eines maximal 90-tägigen Verfahrens würden Innovationen behindern, die eine Streitbeilegung in viel schnellerer Form ermöglichen könnten. Zudem handele die EU wettbewerbswidrig, wenn sie für die Kostenfreiheit der Verbraucherschlichtung werbe, denn dadurch erhielten staatlich geförderte ODR-Tools gegenüber den Angeboten privater Unternehmen einen ungerechtfertigten Vorteil; infolgedessen fehlten wiederum den privaten Anbietern die Mittel, um ein hohes Innovationstempo beizubehalten. Schließlich sei bedauerlich, dass die EU Online-Survey-Mechanismen nicht nutze, die sie vor einigen Jahren selbst in Auftrag gegeben habe; so bleibe viel Potenzial ungenutzt, das durch eine konsequente Implementation moderner ODR-Techniken fruchtbar gemacht werden könnte.

Der Artikel von Graham Ross ist in englischer Sprache auf dem Blog des ODR-Unternehmens Modria erschienen.