Zwei-Klassen-Justiz in Europa?

In einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP 2014, 8-38) beschäftigen sich Caroline Meller-Hannich, Armin Höland und Elisabeth Krausbeck mit den jüngsten Rechtsakten der Europäischen Union zur Alternativen Streitbeilegung und Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten.

Überblick über die aktuelle europäische Schlichtungslandschaft

Nach einem einleitenden Überblick über die Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (AS-Richtlinie) und die Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (OS-Verordnung) zeichnen die Autoren eine anschauliche Skizze der gegenwärtigen europäischen Schlichtungslandschaft. Sie zeigen am Beispiel einiger europäischer Länder, dass es bereits ganz unterschiedliche Formen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen (sog. AS-Stellen) gibt. Teilweise sind diese „frei gewachsen“, teilweise aber auch aufgrund von Verpflichtungen aus europäischen Rechtsakten entstanden; die Autoren verweisen insoweit auf Cookie-Richtlinie 2009/136/EG, die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG, die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG und die Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64/EG. Dabei ist das deutsche Modell der AS-Stellen in privater Trägerschaft durchaus nicht selbstverständlich: In vielen nordeuropäischen Staaten befinden sich die Einrichtungen in staatlicher Hand; in den Niederlanden beruhen sie auf einer Kooperation von Staat und Privaten.

Behindert effektiver Rechtsschutz den europäischen Binnenmarkt?

Der wichtigste Punkt des ZEuP-Beitrags bezieht sich auf das Verhältnis von europäischem Binnenmarkt und dem gerichtlichen Rechtsschutz der Mitgliedstaaten. Die Autoren stellen fest, dass die Europäische Union ihr Augenmerk lange Zeit darauf gerichtet hatte, den Zugang zu den mitgliedstaatlichen Zivilgerichten zu verbessern. Beispiele dafür sind die Verordnungen (EG) Nr. 1896/2006 zur Schaffung eines europäischen Mahnverfahrens und (EG) Nr. 861/2007 eines Verfahrens zur Durchsetzung geringwertiger Forderungen (zu letzterer siehe den Überarbeitungsvorschlag der Kommission, KOM(2013) 794 endg.). Vor dem Hintergrund, dass sich derartige Instrumente als weitgehend wirkungslos erwiesen haben, weil sie von den Verbrauchern nicht angenommen wurden, sehen Meller-Hannich, Höland und Krausbeck eine Wende in der europäischen Zivilprozessrechtspolitik. Die Union wolle nun die außergerichtlichen Verfahren stärken, weil sie bei den gerichtlichen nicht weiterkomme (so auch Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704, 1706). Offenbar werde gerichtlicher Rechtsschutz seitens der Kommission zunehmend als hinderlich für einen starken europäischen Binnenmarkt wahrgenommen. Das Fazit der Autoren ist dementsprechend nüchtern. Sie befürchten eine Zwei-Klassen-Justiz durch die Umsetzung der AS-Richtlinie: Durch die Rechtsakte der Union entstehe „eine Art Pseudo-Justiz für Verbraucherbeschwerden…, die Verbraucherstreitigkeiten möglichst von den Gerichten fernhält“. Es bleibe die Frage, was der Entscheidungsmaßstab für Verbraucherstreitigkeiten sein werde, wenn die zur Rechtsdurchsetzung berufene Justiz durch AS-Stellen substituiert werde.