Zentrum für Schlichtung übernimmt bundesweite Auffangschlichtung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat heute bekannt gegeben, dass ein neu geschaffenes Zentrum für Schlichtung die bundesweite Auffangschlichtung leisten soll. Der Online-Schlichter – eine mit staatlichen Mitteln geförderte, auf den Bereich des E-Commerce beschränkte Schlichtungsstelle – könnte mittelfristig im Zentrum für Schlichtung aufgehen.

Zentrum für Schlichtung als Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle

Die Vorgeschichte des Zentrums für Schlichtung: Der Gesetzgeber sieht sich durch Art. 5 Abs. 1 der ADR-Richtlinie in der Pflicht, ein flächendeckendes System der außergerichtlichen Verbraucherstreitbeilegung zu gewährleisten. Zu diesem Zwecke regelt § 29 Abs. 1 VSBG die Einrichtung sogenannter Universalschlichtungsstellen durch die Länder. Weil der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren für das VSBG dagegen intervenierte, sagte der Bund über § 43 Abs. 1 VSBG zu, bis Ende 2019 eine ausgewählte Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle zu finanzieren, so dass bis dahin kein Bedarf für Länder-Universalschlichtungsstellen besteht (vgl. § 29 Abs. 2 VSBG). Der schon im Koalitionsvertrag auf den Schild gehobene Online-Schlichter galt von Beginn an als für diese Aufgabe prädestiniert. Aufgrund seiner Beschränkung auf den Bereich des E-Commerce erfüllte er aber nicht die Voraussetzungen einer Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle. Das Zuständigkeitsspektrum des neuen Zentrums für Schlichtung muss erheblich breiter sein sein und mit wenigen Ausnahmen (siehe dazu § 4 VSBG)  Streitigkeiten aus jeglichen Verbraucherverträgen erfassen. Als Träger fungiert der in der vergangenen Woche gegründete Zentrum für Schlichtung e.V. mit Sitz in Kehl. Die Webseite der Einrichtung soll am 1. April 2016 freigeschaltet werden.

Zentrum für Schlichtung: Finanzierungsbedarf kaum absehbar

Während der Online-Schlichter bisher mit zwei Volljuristen als Schlichtern arbeitete, dürfte der Personal- und Finanzbedarf beim Zentrum für Schlichtung wesentlich größer ausfallen. Denn die Möglichkeit einer kostenlosen Verbraucherschlichtung könnte sich schnell herumsprechen und wird spätestens ab dem 1. Februar 2017 erheblich an Bekanntheit gewinnen, wenn nämlich Unternehmer gemäß § 37 VSBG Verbraucher bei nicht einvernehmlich beigelegten Konflikten ausdrücklich auf die Schlichtung verweisen müssen. Als Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle muss das Zentrum für Schlichtung sodann abgesehen von wenigen Ausnahmen jede vertragliche Verbraucher-Unternehmer-Streitigkeit zur Schlichtung annehmen; insbesondere ist im Verbraucherstreitbeilegungsgesetz weder in § 4 noch in § 14 die Ablehnung von Fällen vorgesehen, die auch von anderen Schlichtungsstellen wie etwa dem Versicherungsombudsmann bearbeitet werden könnten. Das Zentrum für Schlichtung muss also im Zweifel in der Lage sein, eine große Anzahl von Fällen in kurzer Zeit zu bearbeiten. Mehr noch: Das Gesetz verlangt den Erlass eines Schlichtungsvorschlags im Regelfall binnen 90 Tagen nach Eingang der vollständigen Beschwerdeakte (§ 20 Abs. 2 VSBG). Der damit verbundene finanzielle Aufwand für den Steuerzahler lässt sich gegenwärtig kaum kalkulieren, denn die Zahl der Schlichtungsfälle ist nicht zu unterschätzen: Auch wenn der Zuständigkeitsbereich des Zentrums für Schlichtung enger ist als derjenige der Amtsgerichte, sind wegen der Kostenfreiheit des Verfahrens für den Verbraucher (§ 23 Abs. 1 VSBG) mittelfristig durchaus jährliche Fallzahlen im Millionenbereich denkbar.

Zentrum für Schlichtung im Zentrum des Interesses

Auch in einem weiteren Punkt könnte das Zentrum für Schlichtung zukünftig im Mittelpunkt des Interesses stehen: Gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 VSBG soll der Schlichtungsvorschlag einer Verbraucherschlichtungsstelle am geltenden Recht ausgerichtet sein und insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachten. In der Fachwelt rätselt man, was genau darunter zu verstehen ist. Aufgrund der Finanzierung durch den Steuerzahler wird man allerdings beim Zentrum für Schlichtung tendenziell genauer hinsehen und ihm früher als anderen Schlichtungsstellen abverlangen, tatsächlich rechtstreue Schlichtungsvorschläge zu formulieren. Das Zentrum für Schlichtung steht damit vor einer Herkulesaufgabe: Es soll aus dem Stand heraus eine der Funktion der Amtsgerichte zumindest sehr ähnliche Aufgabe wahrnehmen, es hat dabei aufgrund der einseitigen Kostenfreiheit eine erheblich niedrigere Zugangsschwelle, muss die Fälle aber aufgrund der gesetzlichen Vorgaben deutlich schneller bewältigen. Zum Lackmustest könnte es kommen, wenn Rechtsanwälte beginnen, alte und noch unverjährte Ansprüche ihrer Mandanten, die bislang aufgrund von Gerichts- oder Kostenscheu nicht durchgesetzt wurden, in großer Zahl vor das Zentrum für Schlichtung zu bringen, oder wenn sie die  Verbraucherschlichtung zukünftig systematisch in ihre Rechtsberatung integrieren. Jedenfalls diejenigen Verbraucher, die nicht rechtsschutzversichert sind, dürften dann regelmäßig die Schlichtung statt der Justiz wählen. Und die Rechtsschutzversicherer werden ihrerseits überlegen, wie sie die Verbraucherschlichtung als kostenarme Alternative zum Gerichtsprozess implementieren können.