Nachdem im Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig die Vergleichsgespräche zwischen der Volkswagen AG und dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vorerst gescheitert sind, wird ein Verfahrensende per Musterfeststellungsurteil nach § 613 Abs. 1 ZPO wahrscheinlicher. Rückt damit auch eine Anschlussschlichtung wieder in den Bereich des Möglichen?
Hintergrund: Musterfeststellung ersetzt nicht die Individualklage
Die seit 2018 in den §§ 606 ff. ZPO verankerte Musterfeststellungsklage dient der zentralen Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen in Massenstreitigkeiten. Wie ein klassisches Zivilverfahren mündet auch sie im Regelfall in einen Vergleich oder ein Urteil. Beides entfaltet Wirkung nicht nur für und gegen den auf Verbraucherseite klagenden Verband, sondern auch für und gegen die Verbraucher, die sich dem Verfahren angeschlossen haben. Einen vollstreckbaren Titel haben sie damit aber nicht in der Hand; erforderlich ist jeweils noch eine Individualklage jedes einzelnen Betroffenen. Bei knapp 400.000 Teilnehmern des aktuell vor dem OLG Braunschweig verhandelten Musterfeststellungsverfahrens wäre eine solche Zahl von Individualklagen nicht nur eine immense Belastung der Justiz, sondern man dürfte auch damit rechnen, dass ein großer Teil der Betroffenen den erneuten Weg vor die Gerichte und insbesondere die damit verbundene Kostenlast scheut.
Schlichtungsanhänger für die Musterfeststellungsklage?
Vor diesem Hintergrund wurde im Vorfeld der Überarbeitung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes im Jahr 2019 der Vorschlag geäußert, Musterfeststellungsverfahren nach dem Urteil in eine zentrale Verbraucherschlichtung zu überführen. Der neugefasste § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VSBG nimmt diese Idee auf und ordnet eine solche Anschlussschlichtung der Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle des Bundes zu. Die Crux daran: Die Teilnahme an einer solchen Schlichtung ist freiwillig. Es hängt also vom good will der beklagten Unternehmerin ab, ob sie an einer Schlichtung teilnehmen oder sich verklagen lassen möchte. Nimmt sie an der Schlichtung teil, bleibt sie berechtigt, die Einigungsempfehlung der Schlichterin abzulehnen. Vorschläge, die Anschlussschlichtung und den Schlichterspruch für Unternehmer verpflichtend auszugestalten, hat der Gesetzgeber letztlich nicht aufgegriffen.
Würde sich VW auf eine Schlichtung einlassen?
Was bedeutet das für den zivilrechtlichen Ausgang des VW-Abgasskandals? Nachdem die vom OLG Braunschweig angeregten Vergleichsverhandlungen Mitte Februar 2020 spektakulär geplatzt sind (vgl. die Statements von VW und vom vzbv), wird das OLG Braunschweig das Verfahren vorerst in Richtung eines Musterfeststellungsurteils fortsetzen müssen. Die Volkswagen AG will ihren Kunden zwar ab Ende März individuelle Vergleiche über eine dafür geschaffene Plattformlösung anbieten. Auf dieses Angebot dürften sich allerdings nicht alle Verbraucher einlassen. Und selbst soweit sie der von VW angebotenen Abfindung zustimmen, können sie wegen § 608 Abs. 3 ZPO aus dem Musterfeststellungsverfahren bis auf Weiteres nicht ausscheiden. Sollte angesichts dessen ungefähr im Jahr 2021 ein aus Sicht der Verbraucher positives Musterfeststellungsurteil ergehen, wird die Schlichtungsidee wieder auf den Tisch kommen. Nachdem sich VW weiterhin vergleichsbereit zeigt, wäre es durchaus plausibel, dass es dann auch zu einem Schlichtungsverfahren kommt. Die große Frage ist dann allerdings, ob eine gütliche Einigung realistisch ist oder letztlich nur die Individualklagen verzögert werden. Wem eine solche Verzögerung nützen würde, hängt in vielen Fällen davon ab, ob die Kunden bei der Rückabwicklung ihrer Verträge Nutzungsersatz schulden. Und das ist natürlich: Umstritten!