Wie die Verbraucherschlichtung in der Praxis abläuft, ist bisher nicht grundlegend empirisch aufgearbeitet. Schlichtungsstellen berichten von verbraucherfreundlichen Entscheidungen nach Recht und Gesetz, während Kritiker genau daran zweifeln. Einige Schlichtungsstellen veröffentlichen Beispiele von Schlichtersprüchen auf ihren Webseiten, weisen allerdings selbst darauf hin, dass diese nicht repräsentativ seien. Darin zeigt sich ein Spannungsfeld, das in der Verbraucherschlichtung des gegenwärtigen Zuschnitts angelegt ist: Zwar sind die Schlichtungsstellen gehalten, Empfehlungen zu den gängigsten Problemstellungen zu veröffentlichen (EG 30 und Art. 7 Abs. 2 lit. b) ADR-Richtlinie, § 42 Abs. 1 Nr. 4 RegE VSBG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 RefE VSBInfoV), allerdings sollen die Schlichtungsverfahren und damit im Zweifel auch ihre konkreten Ergebnisse vertraulich sein (EG 29 der ADR-Richtlinie, § 22 RegE VSBG). Zwei ihrerseits nicht-repräsentative Beispiele aus der Anwaltspraxis illustrieren, welchen Verlauf ein Schlichtungsverfahren in der Praxis nehmen kann.
Klare Rechtslage – halbierter Anspruch
Im ersten Fall verlangte ein Verbraucher von einem Unternehmer einen mittleren fünfstelligen Euro-Betrag. Da der Unternehmer die Leistung verweigerte, erhob der Verbraucher mit anwaltlicher Hilfe Beschwerde vor einer Schlichtungsstelle. Der Eingang der Beschwerde wurde innerhalb weniger Tage bestätigt. Beide Seiten nahmen zur Sache Stellung. Der Schlichter, ein früherer OLG-Richter, kam schon knapp zwei Monate nach Erhebung der Beschwerde zu seinem Schlichterspruch: Der Unternehmer „muss damit leben“, dass Fälle der vorliegenden Art von den für ihn „allgemein zuständigen Gerichtsinstanzen“ zu seinem Nachteil entschieden würden. Und weiter: „Das rechtliche Risiko des Beschwerdeführers im Fall eines Rechtsstreits erscheint daher sehr gering.“ Mit anderen Worten: Der Verbraucher sei im Recht. Anstatt nun aber dem Verbraucher den vollen geltend gemachten Anspruch zuzuerkennen, schlug der Schlichter unter Verweis auf ein früheres (und damit nach § 146 Alt. 1 BGB erloschenes) Vergleichsangebot des Verbrauchers einen Vergleich mit Zahlung ungefähr der Hälfte der geforderten Summe vor. Weiter formulierte er im Interesse des Unternehmers eine mit Vertragsstrafe bewehrte Vertraulichkeitsabrede und kürzte den Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten des Verbrauchers um gut die Hälfte – unter Verkennung des Umstands, dass der Anfall von Einigungsgebühren nach dem RVG nicht durch die Verfahrensordnung einer Schlichtungsstelle unterbunden werden kann.
Einschüchterung durch früheren BGH-Richter
In einem zweiten Fall nahm ein Verbraucher wiederum mit anwaltlicher Hilfe eine Unternehmerin auf Zahlung eines mittleren vierstelligen Betrages in Anspruch. Der Eingang der Beschwerde bei der Schlichtungsstelle wurde zügig bestätigt. Nach drei Monaten Funkstille teilte die Schlichtungsstelle mit, nunmehr werde der Fall der Beschwerdegegnerin zur Stellungnahme zugeleitet. Nach weiterem Austausch von Schriftsätzen gelangte der Schlichter, ein früherer BGH-Richter, inzwischen knapp ein halbes Jahr nach Einreichung der Beschwerde, zu dem auf einer halben Seite erläuterten Schluss, dass der Verbraucher mit seiner Rechtsansicht (die immerhin der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht) „verwirrt sein“ möge, aber bei ihm „nicht auf Verständnis stoße“. Die Reaktion des Verbrauchers: „Wenn ein BGH-Richter mir so etwas sagt, brauche ich wohl meinen Fall nicht mehr vor die Gerichte zu bringen.“
Schlichtersprüche durchweg mangelhaft?
Angesichts der geschilderten Praxisfälle mag man sich fragen, ob Schlichtersprüche durchweg mangelhaft sind. Dem ist sicher nicht so. Gerade die bekannteren Schlichtungsstellen unternehmen erhebliche Anstrengungen, die Qualität ihrer Verfahren sicherzustellen. Gleichzeitig zeigen die nicht-repräsentativen Praxiseinblicke, dass es vielen Schlichtungsstellen gerade bei für die Unternehmerseite politisch und bilanziell heiklen Fällen schwer fällt, rechtstreue Schlichtungsvorschläge zu machen (vgl. auch den ernüchterten Bericht von Schmitt, VuR 2015, 134). Auch bestätigen sich Befürchtungen, wonach Verbraucher gerade durch die Autorität des früheren Richteramts des Chefschlichters davon abgehalten werden, die staatlichen Gerichte anzurufen (kritisch Stürner, ZZP 2014, 271, 319 Fn. 237). Man fragt sich, ob den Schlichtungsstellen ein Zacken aus der Krone bräche, wenn sie sich nicht als Privatgericht, sondern als Serviceeinrichtung imagebewusster Unternehmensverbände verstünden (vgl. Engel, NJW 2015, 1633, 1637).