Vertraulichkeit in der Verbraucherschlichtung: Fluch oder Segen?

Für viele Streitparteien ist die Vertraulichkeit ein gewichtiges Argument für die alternative Streitbeilegung. Gleichzeitig nährt eben jene Vertraulichkeit die Skepsis mancher Außenstehender, ob es hinter den verschlossenen Türen denn tatsächlich mit rechten Dingen zugeht. Die Einführung des § 257c StPO zu strafprozessualen Deals im Jahr 2009 sowie die aktuelle Diskussion um internationale Investitionsschiedsgerichte haben das Vertrauen der Öffentlichkeit dabei nicht gerade gestärkt. Das wirft die Frage auf, wem die Vertraulichkeit eines Streitbeilegungsverfahrens nützt und mit wie viel Vertraulichkeit die Parteien einer Verbraucherschlichtung rechnen können.

Interesse an Vertraulichkeit ist legitim

Wenn sich jemand bei der Konfliktlösung nicht in die Karten schauen lassen möchte, erscheint das prima facie nicht illegitim. Ein vertrauliches Verfahren schützt die Privatsphäre der Beteiligten und lässt insbesondere unternehmerische Parteien ihre Geschäftsgeheimnisse wahren. Das berechtigte Vertraulichkeitsinteresse der Betroffenen endet und das legitime Transparenzinteresse der Allgemeinheit beginnt, wo die Vertraulichkeit dafür in Dienst genommen wird, rechtswidrige – insbesondere kartell- und steuerrechtswidrige – Verhaltensweisen nicht auffliegen zu lassen. Ein Grenzfall ist die Kaschierung privatrechtswidriger Geschäftspraktiken durch Nichterfüllung oder schlichtes Aussitzen von Ansprüchen: Außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 3 und 3a UWG sind Unternehmer nicht verpflichtet, bestehende Ansprüche ihrer Kunden zu bedienen.

Wem nützt Vertraulichkeit?

Sind Unternehmer also nicht verpflichtet, bestehende zivilrechtliche Ansprüche ihrer Kunden von sich aus zu erfüllen, so können sie nach Wegen suchen, die Zahl der gegen sie geltend gemachten Forderungen gering zu halten. Das spricht aus ihrer Sicht dafür, die wenigen rechtsverfolgungswilligen Kunden in einem vertraulichen Verfahren zu befriedigen, gleichzeitig aber durch die Vermeidung einer Präzedenz das Gros der schlafenden Hunde schlummern zu lassen. Unternehmer gewinnen in der Verbraucherschlichtung zweifelsohne die Zufriedenheit des beschwerdeführenden Kunden; viel wichtiger ist für sie aber die Zufriedenheit aller anderen Kunden mit dem aktuellen Angebot. Sähen diese anderen Kunden aufgrund eines öffentlichen Verfahrens, was sie im Extremfall herausschlagen können, wären sie womöglich mit den für sie geltenden Konditionen nicht mehr zufrieden und würden ihrerseits weitergehende Ansprüche stellen. Insofern kann Vertraulichkeit Unternehmern einiges Geld wert sein. Das bestätigt auch die Gegenprobe: Würden Unternehmer die Öffentlichkeit nicht tendenziell scheuen, könnten sie die Ansprüche ihrer Kunden unmittelbar befriedigen und müssten es nicht auf eine Schlichtung ankommen lassen. In der Praxis sind es folgerichtig Einzelfälle, in denen Unternehmen von sich aus bestehende Ansprüche ihrer Kunden erfüllen.

Verbraucherschlichtung: Vertraulichkeit ist der Preis der Kostenfreiheit

Gerade im Verbraucher-Unternehmer-Kontext nützt die Vertraulichkeit insofern vor allem der Unternehmerseite. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, wenn es auch die Unternehmerseite ist, die die Verbraucherschlichtung finanziert. Der finanzielle Einsatz lohnt sich für die Unternehmer, weil sie etwas dafür bekommen. In der Verbraucherschlichtung ist dies die Verschwiegenheitspflicht nach § 22 VSBG. Dieses Gleichgewicht könnte aufgebrochen werden, wenn die Schlichtungsstellen künftig in ihren jährlichen Tätigkeitsberichten so detailliert über häufige Problemstellungen berichten sollten, dass die Öffentlichkeit Rückschlüsse über die Identität der Unternehmerpartei ziehen könnte. Mit Blick auf den zurückhaltenden Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 3 VSBG erscheint dies freilich unwahrscheinlich. Käme es dennoch dazu, dürfte dies dazu führen, dass gerade diejenigen Unternehmer, die bis dahin häufig an Schlichtungsverfahren teilnehmen, ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Verbraucherschlichtung fortan verweigern.

Update 12. Juni 2016: Mit der Vertraulichkeit in der Verbraucherschlichtung befasst sich auch ein aktueller Beitrag von Christof Berlin im VuR-Sonderheft 2016, S. 36-43.