Paralleljustiz oder alternativer Rechtsschutz?

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) beschäftigt sich der ehemalige BGH-Präsident Professor Dr. Günter Hirsch mit dem Aufbau eines außergerichtlichen Streitbeilegungssystems durch das neue Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG). Bringt das VSBG eine Paralleljustiz mit sich oder eröffnet es eine zusätzliche Möglichkeit für Verbraucher, Rechtsschutz zu erlangen?

Verbraucherstreitbeilegung als vierte Gewalt

Hirsch beschreibt die aktuellen Pläne der Bundesregierung für den Erlass eines Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes in Umsetzung der europäischen AS-Richtlinie. Durch die Systematisierung und Professionalisierung der Verbraucherschlichtung werde ein „umfassendes Paralleluniversum des alternativen Rechtsschutzes“ entstehen. Wer dieses zur Paralleljustiz abstempele, komme nicht nur mit seiner Kritik zu spät, sondern verkenne auch Funktion und Praxis der Schlichtungsstellen und übergehe empirische Erkenntnisse.

Dabei ist Hirsch zufolge noch völlig offen, welche rechtssoziologischen und gesellschaftlichen Folgen das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz haben könnte. Hirsch verweist in diesem Zusammenhang auf Fritz Bauer, der den Ombudsmann skandinavischer Prägung (im Unterschied zur klassischen Verbraucherschlichtungsstelle eher eine Art Petitionsstelle) einmal als „vierte Gewalt“ bezeichnet hatte (GMH 1964, 227, Volltext pdf). Ob freilich ein Netz von Schlichtungsorganisationen, mehrheitlich getragen von Unternehmensverbänden, eine bereichernde „Staats“gewalt darstellt, dürfte womöglich nicht unumstritten sein.

Hat der Verbraucher die Wahl?

Mit guten Gründen weist Hirsch auf einen weiteren Punkt hin: Es stellt sich die Frage, ob Verbraucherschlichtungsstellen den Gerichten Fälle wegnehmen (Stichwort Paralleljustiz). Hirsch berichtet aus seiner eigenen Erfahrung als Versicherungsombudsmann, dass für viele der Schlichtungsparteien ein Gerichtsprozess nie in Frage gekommen wäre. Die Schlichtungsstellen behandelten insofern ganz überwiegend Fälle, die sonst ungelöst geblieben wären. Das ist plausibel. Ebenso plausibel dürfte es allerdings sein, dass viele der Verbraucher, die heute noch vor Gericht ziehen, in Zukunft durch den von Art. 13 Abs. 3 AS-RL und § 35 VSBG-E geforderten einseitigen Hinweis von Unternehmern dazu motiviert werden, von einem Gerichtsverfahren abzusehen. Diese Sorge vor einem solchen „Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit“ (Roth, JZ 2013, 637-644) lässt sich speziell im Bereich der Versicherungsstreitfälle entgegen einer aktuellen Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum VSBG-E (pdf) auch nicht mit der erheblichen Zunahme gerichtlicher Versicherungsstreitigkeiten entkräften, denn diese Entwicklung beruht auf der Neueinführung der entsprechenden Rubrik in der Datenerhebung des Statistischen Bundesamts und nicht etwa auf einer Explosion der Fallzahlen in Versicherungssachen. Es bleibt insofern dabei, dass die Folgen der Systematisierung und Institutionalisierung der Verbraucherschlichtung schwer abzuschätzen sind. Wagt man dennoch eine Prognose, so ist die Sorge um eine funktionsfähige Ziviljustiz ebenso zu würdigen wie der Anspruch einer effektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten und die Erfahrungen der heute bereits existierenden Schlichtungsstellen.

Der Beitrag von Professor Hirsch ist online abrufbar auf den Seiten der F.A.Z.