Koalitionsvertrag: Smart contracts, Verbraucherschlichtung und Musterfeststellungsklage

Der vorläufig ausgehandelte Koalitionsvertrag der Koalition aus CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode wartet mit einer Reihe von Plänen zur Durchsetzung geringwertiger Forderungen auf. Konkret geht es um smart contracts, Verbraucherschlichtung und die Einführung einer Musterfeststellungsklage.

Smart contracts zur Erleichterung der Rechtsdurchsetzung

Zum augenscheinlich ersten Mal ist in einem politischen Dokument von der Nutzung von smart contracts für die Durchsetzung von Verbraucherrechten die Rede. Smart contracts sind digital niedergelegte Verträge, die sich selbst vollziehen, etwa indem sie bei Vertragsverletzungen automatisch eine bestimmte Geldsumme ausschütten. Der Koalitionsvertrag formuliert dazu:

Wir erleichtern Verbraucherinnen und Verbrauchern die Rechtsdurchsetzung durch Digitalisierung, insbesondere bei smart contracts. Deshalb werden wir die Entwicklung der automatischen Vertragsentschädigung fördern und rechtssicher gestalten.

Damit ist offenbar gemeint, was ich kürzlich in einem Beitrag für das Anwaltsblatt (AnwBl 2018, 86, 88, pdf) skizziert habe: Wenn typische Leistungsstörungen in Verbraucherverträgen digital feststellbar sind, könnte Verbrauchern eine Entschädigung bei Eintritt einer solchen Leistungsstörung sogleich automatisch ausgezahlt werden. Es wäre dann nicht mehr erforderlich, dass Verbraucher ihre Ansprüche selbst durchsetzen. So könnten beispielsweise Entschädigungsansprüche für verspätete Verkehrsmittel in der Weise in einem digitalen Vertragsabbild niedergelegt werden, dass der Kunde sein Geld automatisch erhält, sobald das System die Verspätung feststellt.

Bund will das Zentrum für Schlichtung weiterfinanzieren

Mit Blick auf die Verbraucherschlichtung haben sich die angehenden Koalitionsparteien darauf verständigt, die in § 43 VSBG auf Ende 2019 befristete Förderung des Zentrums für Schlichtung fortzuführen.

Die allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle wird dauerhaft zentral vom Bund getragen werden. Mit den Ländern sollen Gespräche über eine Beteiligung geführt werden.

Offenbar erschien den Koalitionären der personelle Aufwand von zwei Streitmittlern für ca. 2.000 Fälle im Jahr so überschaubar, dass der Bund sich die Finanzierung leisten kann. Die Finanzierungsdiskussion vor der Verabschiedung des VSBG muss insofern bis auf Weiteres nicht wieder aufgerollt werden.

Musterfeststellungsklage geplant

Mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz sieht der Koalitionsvertrag die schon im Sommer 2017 geplante Einführung einer Musterfeststellungsklage vor. Dabei drücken die Koalitionäre gewaltig aufs Tempo.

Durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage werden wir die Rechtsdurchsetzung für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern. Wir wollen die Klagebefugnis auf festgelegte qualifizierte Einrichtungen beschränken, um eine ausufernde Klageindustrie zu vermeiden. Bewährte wirtschaftliche Strukturen sollen nicht zerschlagen werden. Wir werden drohende Verjährungen zum Jahresende 2018 verhindern und deshalb das Gesetz (spätestens) zum 1. November 2018 in Kraft treten lassen. Wir werden für die Einleitung des Verfahrens die schlüssige Darlegung und Glaubhaftmachung einer Mindestzahl von zehn individualisierten Betroffenen sowie für die Durchführung des Verfahrens von 50 Anmelderinnen und Anmeldern zum Klageregister in einer Frist von zwei Monaten festsetzen, um die Effektivität des Verfahrens für Gerichte und Parteien zu gewährleisten. Die Feststellungen des Urteils sind für die Beklagte oder den Beklagten und die im Klageregister angemeldeten Personen bindend. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die Anmeldung bis zum Beginn der ersten mündlichen Verhandlung zurückgenommen ist.

Vertreter von Verbraucherschutzverbänden sehen in der Musterfeststellungsklage die Chance, Verbraucherrechte an breiter Front durchzusetzen. Durch die zeitnahe Umsetzung der Pläne soll vor allem verhindert werden, dass Ansprüche von VW-Kunden im Abgasskandal mit Ablauf des Jahres 2018 verjähren. Die Kritik an der Musterfeststellungsklage verstummt allerdings auch jetzt nicht. Zweifel werden namentlich daran geäußert, ob kollektiver Rechtsschutz ohne die Charakteristika des amerikanischen Rechts (punitive damages, Erfolgshonorare, pre-trial discovery, jury trials) überhaupt effektiv sein könne.

Lex Ryanair im Anflug

Zu guter Letzt findet sich in dem nun ausgehandelten Koalitionsvertrag auch noch ein Passus, der eine lex Ryanair ankündigt.

Mit Blick auf kleine „Streuschäden“ prüfen wir einen Ausschluss von Abtretungsverboten für Forderungen in AGB.

Damit reagieren die Koalitionäre auf die Praxis der Fluggesellschaft Ryanair, die ihren Kunden in Art. 15.4 ihrer AGB untersagt, Entschädigungsansprüche wegen Flugverspätung an Dritte abzutreten. Ryanair will damit insbesondere Legal-Tech-Anbietern wie flightright den Wind aus den Segeln nehmen. Zwar hatte zuletzt das Amtsgericht Nürnberg (Urteil v. 11. Januar 2018, 17 C 5050/17) das Abtretungsverbot für unwirksam gehalten. Der Koalitionsvertrag will es aber nicht dabei belassen, sondern diese bisher nur untergerichtliche Rechtsprechung womöglich ausdrücklich im Gesetz festschreiben.