Schnellverfahren bei den Amtsgerichten?

In seinem Gutachten zum 70. Deutschen Juristentag in Hannover im September 2014 schlägt der Bremer Rechtswissenschaftler Gralf-Peter Calliess die Einführung eines singularinstanzlichen, summarischen Schnellverfahrens für Verbraucherstreitigkeiten bei den Amtsgerichten vor.

Juristentag diskutiert die Stellung des Richters im Zivilprozess

Der 70. Deutsche Juristentag (DJT) findet vom 16. bis zum 19. September 2014 in Hannover statt und diskutiert in seiner Abteilung A Reformbedarf im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und in der Zivilprozessordnung (ZPO). Die in Vorbereitung dieser Veranstaltung erstellten Vorschläge von Calliess enthalten neben Anregungen zur Modifikation der gerichtlichen Geschäftsverteilung insbesondere auch Ideen für eine Modernisierung gerichtlicher Verfahren zur Rechtsdurchsetzung in Verbraucherangelegenheiten. Calliess beobachtet ein übermäßig komplexes deutsches und europäisches Verbrauchervertragsrecht und eine Hinwendung der Konfliktbewältigung zu Mechanismen außerhalb der staatlichen Gerichte. Es drohe die „Gefahr rechtlich nicht kontrollierbarer Parallelstrukturen“, wie sie sich etwa im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit entwickelt haben. Daraus resultierten gewichtige rechtsstaatliche Probleme, speziell beim freien und gleichen Zugang zum Recht, hinsichtlich der Wahrung sozialer Gerechtigkeit durch Schutz der Schwächeren sowie bei der Beachtung der Grundrechte als staatlich garantierter Wertordnung.

Prozessschwund vor den Zivilgerichten

In einem aktuellen Beitrag für das Anwaltsblatt hatte Ministerialdirektorin Marie Luise Graf-Schlicker auf Basis einer umfangreichen Datenanalyse den gegenwärtigen Rückgang der Fallzahlen im Zivilprozess beschrieben (pdf). Vor dem Hintergrund dieses „Prozessschwunds“ sieht nun Calliess in seinem DJT-Gutachten ein im Rechtsstaatsprinzip wurzelndes verfassungsrechtliches Gebot, die Zivilrechtspflege durch eine bedarfsgerechte und effiziente Ausgestaltung so weit zu modernisieren, dass sie ihre rechtsstaatlichen Aufgaben und Funktionen weiterhin erfüllen kann und nicht von außergerichtlichen Parallelstrukturen verdrängt wird. Die Justiz müsse sich in ihrem Selbstverständnis wandeln „von der Ausübung von Justizhoheit aufgrund eines Rechtsprechungsmonopols hin zur flexiblen und nachfragegerechten Erbringung von Justizdienstleistungen“.

Schnellverfahren und vorgegebene Schriftsatzstruktur im Zivilprozess

Für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern schlägt Calliess ein vom Verbraucher wählbares, singularinstanzliches Schnellverfahren bei den Amtsgerichten vor. Vorläufer dieses Verfahrens bzw. ähnliche Versuche gab es in der Vergangenheit bereits mit § 471 CPO, mit dem 1976 (letztmalig) aufgehobenen § 510c ZPO sowie mit dem heute noch geltenden, aber kaum zielführenden § 495a ZPO. Demgegenüber soll das von Rupprecht Podszun in seiner Habilitationsschrift für einen Spezialbereich erörterte und nunmehr von Calliess grundlegend vorgeschlagene neue Schnellverfahren ganz konkrete Möglichkeiten enthalten, um den Zugang von Verbrauchern zum Recht zu erleichtern und das Rechtsdurchsetzungsverfahren zu straffen. Das größte Potenzial bei der Steigerung der Effizienz dieser Verfahren könnte bei der Digitalisierung und Modernisierung der Arbeitsabläufe zu suchen sein. Calliess schlägt hier – freilich nicht beschränkt auf Verbraucherverfahren – vor, den Parteien in bestimmten Fällen Vorgaben zu Inhalt und Umfang ihrer Schriftsätze zu machen. Der Celler OLG-Präsident Peter Götz von Olenhusen hat diesen Vorschlag in einem Beitrag für das Anwaltsblatt (pdf) aufgegriffen und spricht von der Unterwerfung der Parteien unter eine Schriftsatzstruktur. Auf dem Juristentag in Hannover werde sich das Referat von Volkert Vorwerk mit dieser Thematik befassen. Womöglich schlägt damit die Stunde für den Einsatz juristischer Relations-Software, die komplexe Sachverhalte strukturiert und damit zu einer erheblichen Arbeitserleichterung von Prozessbeteiligten beitragen dürfte (siehe etwa die Normfall-Software des Tübinger Rechtsinformatikers Fritjof Haft).