Viele Schlichtungsstellen sehen in ihren Verfahrensordnungen vor, dass sich ihr Schlichterspruch an Recht und Gesetz orientiert. Welche Folgen ergeben sich aber, wenn ein Schlichterspruch von der Rechtslage abweicht und eine Partei im Nachhinein erkennt, dass sie sich auf weniger eingelassen hat, als ihr rechtlich zusteht?
Modifikation oder Aufhebung des Vergleichsvertrags
Die Verbraucherschlichtung endet in der Regel mit einem Einigungsvorschlag des Schlichters, der die Parteien nicht bindet. Folgen die Parteien dem Schlichterspruch, schließen sie rechtlich einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB, der das streitige Rechtsverhältnis neu gestaltet. Im Regelfall, dass im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses Uneinigkeit über das Rechtsverhältnis der Parteien bzw. über von einer Seite geltend gemachte Ansprüche bestand, sind die Parteien an die in dem Vergleich getroffenen Vereinbarungen gebunden. Dabei bleibt es im Grundsatz auch dann, wenn eine Partei später feststellt, dass rechtlich eigentlich mehr zu holen gewesen wäre. Hat sie aber die Rechtslage vor Vergleichsschluss nicht ausreichend geprüft und deswegen eigene Ansprüche verkannt, so ist die Partei dafür zunächst einmal selbst verantwortlich. Dies gilt nach wohl überwiegender Auffassung sogar für Vergleiche über zwingende Verbraucherrechte (weiterführend Pelzer, ZKM 2015, 43, 44 f.), jedenfalls solange die Abweichung vom zwingenden Recht nicht bloß in der Form eines Vergleiches versteckt wird.
Die Bindung an den Vergleich kann allerdings entfallen, wenn die Partei bei Vergleichsschluss darauf vertraute und vertrauen durfte, dass der Schlichterspruch die materielle Rechtslage umsetzt, wenn dies aber tatsächlich nicht der Fall war. Wenn die Vorstellung von der Rechtstreue des Schlichterspruchs zur Grundlage des Vergleichsvertrags geworden ist, kommt hier eine Anpassung des Vergleichsvertrags oder eine Lösung vom Vergleich nach § 313 BGB in Betracht. Besteht ein einseitiger Irrtum über die Rechtstreue des Schlichterspruchs deswegen, während die andere Seite die Abweichung von der Rechtslage durchschaute, kann die insoweit getäuschte Partei den Vergleichsvertrag sogar nach § 123 Abs. 2 S. 1 BGB anfechten.
Schlichterhaftung bei verdecktem Gesetzesverstoß
Abseits dieser Möglichkeiten zur Lösung vom Vergleich ist durchaus auch eine Schlichterhaftung bzw. eine Haftung der Schlichtungsstelle denkbar. Diese kann sich zunächst aus einem Verfahrensvertrag i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ergeben, wenn sich der Schlichter im Verfahrensvertrag zu einem der Rechtslage entsprechenden Schlichterspruch verpflichtet hat (ähnlich und weiterführend Pelzer, ZKM 2015, 43, 46). Ist Grundlage der Schlichtung nicht ein Verfahrensvertrag, sondern eine Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle, so kann sich eine entsprechende Schlichterhaftung aus einer darin aufgenommenen einseitigen Zusicherung der Schlichtungsstelle ergeben. Schließt die Verfahrensordnung eine Haftung aus, wäre diese Klausel am AGB-Recht der §§ 305 ff. BGB zu messen und womöglich als überraschende Klausel unwirksam gemäß § 305c Abs. 1 BGB. Schließlich ergibt sich auch in den § 311 Abs. 3 BGB ein Anknüpfungspunkt für eine Schlichterhaftung: Denn der Schlichter nimmt als Dritter besonderes Vertrauen für sich in Anspruch und beeinflusst dadurch den Abschluss des Vergleichsvertrages maßgeblich. Der zu ersetzende Schaden besteht jeweils in der Differenz zwischen dem vor Vergleichsschluss bestehenden Anspruch und der im Vergleich vorgesehenen Abgeltung.
Schlichterhaftung bei offenem Gesetzesverstoß
Demgegenüber muss eine Invalidierung des Vergleichsvertrags wie auch eine Schlichterhaftung dann ausscheiden, wenn beide Parteien den Vergleichsvertrag sehenden Auges geschlossen haben, wenn also für sie klar erkennbar war, dass der Schlichterspruch nicht dem geltenden Recht folgt. Denn in diesen Fällen entsteht der Nachteil für die Parteien erst aufgrund einer bewussten eigenen Entscheidung zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits. Schlägt allerdings eine Partei den Einigungsvorschlag des Schlichters aus, gerade weil dieser wider Erwarten nicht der Rechtslage entspricht, so kann ihr gegen die Schlichtungsstelle ein Anspruch auf Ersatz des durch das Betreiben des Schlichtungsverfahrens entstandenen Schadens zustehen. Dieser Anspruch umfasst im Zweifel insbesondere die Vergütung ihres für das Schlichtungsverfahren hinzugezogenen Anwalts.