Interview mit der Leiterin der ÖRA in Hamburg

Im Jahr 2016 werden auf dem Blog zur Verbraucherstreitbeilegung eine Reihe von Kurz-Interviews mit verschiedenen Protagonisten aus der Schlichtungspraxis erscheinen. Den Anfang macht die Leiterin der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle (ÖRA) der Stadt Hamburg, Dr. Monika Hartges.

Keine Lobbyeinrichtung für Verbraucher, sondern neutrale Gütestelle

Die Arbeit der ÖRA, die in wenigen Jahren ihren 100. Geburtstag feiert, steht traditionell auf zwei Säulen: Zum einen leistet die ÖRA Rechtsberatung für Menschen mit geringem Einkommen, zum anderen betreut sie auch Schlichtungsverfahren in unterschiedlichen Kontexten. Dr. Hartges betont, dass sich die ÖRA insbesondere im Bereich der Streitbeilegung nicht als Lobbyeinrichtung für Verbraucher, sondern als neutrale Gütestelle versteht. Die Interviewfragen beantwortet sie dann wie folgt:

Inwieweit trennen Sie organisatorisch zwischen Verbraucherberatung und Verbraucherschlichtung?

Die Beratung ist für Hamburger mit wenig Einkommen (s Homepage), die Schlichtung – hier heißt das „Güteverfahren“ (Rechtsgrundlagen s. Homepage und Flyer) – ist offen für Alle unabhängig vom Wohnsitz oder Geschäftssitz oder Einkommensverhältnissen der Parteien.

Welche Bedeutung kommt beiden Bereichen in der Praxis der ÖRA zu?

Grob geschätzt ca. 5.000 Beratungen, ca. 500 Güteverfahren (kommt auf die Definition  von Verbraucherschlichtung an).

In welchem Maße sind Rechtsanwälte als Parteivertreter in Güteverfahren vor der ÖRA involviert?

In den Verfahren vor der ÖRA herrscht – anders etwa als vor dem Landgericht – kein Anwaltszwang. Grob geschätzt sind in 30% der Fälle Anwälte beteiligt, gerade wenn es um viel Geld und komplizierte Sachverhalte geht.

Gelangen nach Ihrer Einschätzung nur solche Fälle in das Güteverfahren der ÖRA, die ohnehin nie vor staatlichen Gerichten landen würden, oder könnten Sie sich vorstellen, dass mancher Anspruchsteller eigentlich durchaus klagen würde, aber das kostenarme und unbürokratische Güteverfahren vorzieht?

Sowohl als auch … viele versuchen es zunächst im Güteverfahen und klagen (ggf. besser informiert und substantiierter) ggf. im Anschluss (die Kosten des Güteverfahrens können ebenfalls geltend gemacht werden, § 91 ZPO), wenn hier keine freiwillige Einigung zu Stande kommt.

Bis auf Weiteres keine Online-Schlichtung bei der ÖRA

Welche Veränderungen in Ihrer Praxis erwarten Sie sich vom neuen Verbraucherstreitbeilegungsgesetz?

Wenig in Hamburg. Wenn es bundesweit gut, flächendeckend, koordiniert und z.T. spezialisiert umgesetzt würde, dann viel.

Plant die ÖRA eine Tätigkeit als behördliche Verbraucherschlichtungsstelle nach § 28 VSBG (mit den ggf. notwendigen Anpassungen, z.B. der Verfahrensdauer von maximal 90 Tagen nach §§ 28 S. 1, 20 Abs. 2 VSBG)?

Das hat der HH-Senat politisch zu entscheiden. Viele Bundesländer halten sich anscheinend zurück mit der Implementierung neuer Verbraucher-Schlichtungsstellen.

Inwieweit soll ein Güteverfahren vor der ÖRA künftig auch online durchgeführt werden können? Planen Sie eine Nutzung des von der EU nach Art. 5 Abs. 4 lit. d) der ODR-Verordnung geplanten sog. elektronischen Fallbearbeitungsinstruments?

Nein, weil es sich nur für sehr standardisierte Anfragen eignet. Hier [red.: bei der ÖRA] sind die Verfahren insgesamt sehr individuell und Vergleiche werden hier tatsächlich ausgehandelt.

Welche statistischen Angaben zu den Güteverfahren der ÖRA können Sie nennen (Verfahren pro Jahr, Erfolgsquote aus Sicht der Beschwerdeführer, Annahmequote von Vergleichsvorschlägen etc.)?

Verfahren pro Jahr, ca 1.300 – 2.300 / Jahr. Die Erfolgsquote ist „Erledigung ohne Klage“ … nicht einfach und nur rückwirkend festzustellen.

Herzlichen Dank für das Interview, Frau Dr. Hartges! Weitere Informationen zur Arbeit der ÖRA finden sich auf deren Internetseite.