Wie weit reicht der Zugang zur Justiz?

Eine aktuelle Vorlageentscheidung des Tribunale Ordinario di Verona zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) wirft die Frage auf, wie weit der Zugang zur Justiz nach europäischem Verständnis reicht (Rechtssache C-75/16, Livio Menini und Maria Antonia Rampanelli vs. Banco Popolare).

Vorlagefragen des Veroneser Gerichts

Das Veroneser Gericht hat dem Europäischen Gerichtshof drei Fragen vorgelegt, welche die europäische ADR-Richtlinie betreffen. Die ersten beiden Fragen beschäftigen sich damit, ob es mit Art. 1 und 3 Abs. 2 ADR-RL vereinbar ist, wenn ein Mitgliedstaat einen Verbraucher im Anwendungsbereich der Richtlinie vor der Klageerhebung zu einem Mediationsverfahren verpflichtet. Für den Fall, dass dies zulässig ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es mit Art. 1 ADR-RL vereinbar ist, wenn sich ein Verbraucher in einem solchen vorgerichtlichen Mediationsverfahren von einem Anwalt vertreten lassen und dessen Kosten zahlen muss. Hintergrund dieser Fragen ist die in Art. 1 und 10 ADR-RL niedergelegte Wertentscheidung des europäischen Gesetzgebers, den Zugang zur Justiz für Verbraucher möglichst offen zu halten.

Zugang zur Justiz darf nach Art. 1 und 10 ADR-RL erschwert werden

Die nun anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dürfte mit Blick auf die ersten beiden Vorlagefragen darauf verweisen, dass Art. 1 wie auch 10 ADR-RL nur eine vollständige Hinderung, nicht aber jedwede Erschwerung des Zugangs zur Justiz untersagt. Danach sind insbesondere Schiedsklauseln gegenüber Verbrauchern – die schon nach bisherigem deutschem Recht gemäß § 1031 Abs. 5 ZPO an hohe Voraussetzungen gebunden waren – seit Mitte 2015 per se europarechtswidrig. Schwächere Vereinbarungen, die den Zugang zur Justiz nur vorübergehend sperren, sind allerdings nach europäischem Recht – im Unterschied etwa zum deutschen § 309 Nr. 14 BGB – grundsätzlich möglich. Insofern dürfte der EuGH die italienische Mediationspflicht auch für Verbraucher unbeanstandet lassen. Ob die ADR-Richtlinie für diese Mediationsverfahren überhaupt Geltung beansprucht, kann insoweit sogar noch dahin stehen. Schwieriger zu beantworten ist demgegenüber die dritte Vorlagefrage. Hier geht es im Wesentlichen darum, ob einem Verbraucher in der obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegung erhebliche Kosten aufgebürdet werden dürfen. Auch solche Kosten können den Zugang zur Justiz beeinträchtigen, weil sie Verbraucher davon abhalten können, überhaupt ihre Rechte zu verfolgen. Art. 8 lit. c) ADR-RL sieht insoweit vor, dass Verfahren der Verbraucherstreitbeilegung den Verbraucher maximal eine Schutzgebühr kosten dürfen. Verpflichtet man den Verbraucher – wie im italienischen Recht – zur Tragung der Anwaltskosten in der obligatorischen Mediation, so geht dies weit über eine Schutzgebühr hinaus. Allerdings ist fraglich, ob die nicht-verbraucherspezifische obligatorische Mediation die Spielregeln der ADR-Richtlinie überhaupt beachten muss.

Gibt es eine Verbraucherstreitbeilegung jenseits der ADR-Richtlinie?

Man könnte den (teilweise zirkulären) Wortlaut von Art. 2 und 4 Abs. 1 lit. g) und h) ADR-RL wie auch deren Erwägungsgrund 7 so verstehen, dass der europäische Gesetzgeber die in der ADR-Richtlinie geregelten Anforderungen an Streitbeilegungsstellen und Streitbeilegungsverfahren nicht nur als freiwilliges Qualitätssiegel ausgestalten, sondern im B2C-Bereich mit wenigen Ausnahmen verbindlich vorgeben wollte. Dann gälte die ADR-Richtlinie in ihrem Anwendungsbereich auch für Mediationsverfahren, die nicht spezifisch Verbraucherstreitbeilegungsverfahren sein wollen. Gegen dieses Verständnis spricht allerdings Art. 3 Abs. 2 ADR-RL, wonach die Mediations-RL mit den darin normierten Freiheiten unangetastet bleibt. Auch der deutsche Gesetzgeber hat beim Erlass des VSBG nicht sämtliche Schlichtungsstellen reguliert, sondern ein System der freiwilligen Anerkennung geschaffen, das Schlichtungsstellen durchaus auch meiden dürfen. Wenn aber die ADR-Richtlinie nicht für Mediationen gilt, an denen nur zufällig Verbraucher beteiligt sind, so lässt sich daraus auch kein Verbot ableiten, Verbrauchern in einem obligatorischen Mediationsverfahren die Kosten ihres notwendig einzuschaltenden Anwalts aufzubürden. Der EuGH dürfte insofern auch die dritte Vorlagefrage im Sinne des italienischen Gesetzgebers entscheiden. Ob dies dem effektiven Rechtsschutz dient, ist eine andere, vom EuGH hier nicht zu beurteilende Frage.