Kompetenz der EU zum Erlass der ADR-Richtlinie?

In seinem Buch zu Grundlagen, Recht und Markt der Mediation hat Peter Röthemeyer die Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten jüngst als „kompetenzrechtliches Eigentor“ bezeichnet. In einem Beitrag für die Festschrift für Wulf-Henning Roth zum 70. Geburtstag beschäftigt sich nun die Jenaer Professorin Dr. Giesela Rühl ausführlich mit der Kompetenz des europäischen Gesetzgebers zum Erlass der ADR-Richtlinie.

Binnenmarktkompetenz trägt die Richtlinie nicht

Im Mittelpunkt des Beitrags von Rühl steht die Frage, inwieweit die Binnenmarktkompetenz aus Art. 114 AEUV als Kompetenznorm für den Erlass der ADR-Richtlinie in ihrer jetzigen Gestalt taugt. Dazu stellt Rühl zunächst fest, dass Art. 114 AEUV bei der Angleichung verfahrensrechtlicher Regelungen für nicht-grenzüberschreitende Sachverhalte zwar nicht als eine lex generalis von Art. 81 AEUV verdrängt werde, allerdings ermächtige die Binnenmarktkompetenz nur zu reaktiven Maßnahmen, d.h. der Beseitigung bestehender Hindernisse. Solche Hindernisse müssten sodann so gewichtig sein, dass sie die Wahrnehmung der Grundfreiheiten behindern oder eine spürbare Wettbewerbsverzerrung bewirken. Als vorrangiges Hindernis für den europäischen Binnenmarkt identifiziert Rühl anschließend den fehlenden Zugang ausländischer Unternehmen zur inländischen Streitbeilegung. Es sei freilich kaum plausibel, dass dieses Hindernis von ausreichendem Gewicht sei oder den Wettbewerb nennenswert beeinträchtige. Denn Verbraucher machten sich bei Vertragsschluss wohl keine Gedanken über Möglichkeiten der alternativen Streitbeilegung. Insofern fehle es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 114 AEUV; die ADR-Richtlinie könne insofern nicht auf diese Vorschrift gestützt werden.

Ungeeignet, nicht erforderlich und nicht angemessen

Aber auch auf der Rechtsfolgenseite äußert Rühl gravierende Bedenken gegenüber dem von der EU eingeschlagenen Weg. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Eignung der gewählten Mittel (Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines flächendeckenden Streitbeilegungsnetzes) zur Verfolgung des vorgegebenen Ziels (Stärkung des Binnenmarkts). Denn die Richtlinie zwinge die Schlichtungsstellen ja nicht, ausländische Beschwerden anzunehmen bzw. in der Sprache des Verbrauchers zu führen, und sei insofern gerade im grenzüberschreitenden Bereich kraftlos. Auch an der Erforderlichkeit der gewählten Maßnahmen fehle es, weil eine Erstreckung auf inländische Verbraucherverträge für die Stärkung des Binnenmarkts nicht nötig sei. Schließlich sei auch die Angemessenheit der Maßnahmen fraglich, weil die Richtlinie immense Kosten verursache und dabei die Effekte für den Verbraucherschutz noch nicht einmal unbedingt positiv ausfallen müssten.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der zu erwartende Nutzen beider Rechtsakte in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Kosten steht, fehlt.

Nichtigkeitsverfahren vor dem EuGH?

Im Ergebnis schlussfolgert Rühl, die EU habe dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erwiesen: Der EuGH müsse die ADR-Richtlinie – wie übrigens auch die ODR-Verordnung – im Falle einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 264 AEUV für nichtig erklären. Abseits dessen sei eine so klare Kompetenzüberschreitung der EU aber auch pro futuro problematisch:

Ganz nebenbei – und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – hat [der europäische Gesetzgeber] außerdem die Schranken, denen sein Handeln nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung unterliegt, weitgehend außer Kraft gesetzt. Er hat damit einen Stein ins Rollen gebracht, der das System der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten am Ende zum Einsturz bringen könnte.

Diese pessimistische Perspektive bedeutet Rühl zufolge nicht, dass eine Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbrauchersachen nicht durchaus sinnvoll sein könne. Denn es sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Maß der Rechtsdurchsetzung selbst bei vergleichsorientierten Verfahren insgesamt noch höher als bei unzugänglichen Gerichtsverfahren ausfalle. Eine Regulierung in diesem Bereich müsse dann aber zwingend über Art. 81 AEUV geschehen.