In einem aktuellen Beitrag für die Neue Juristische Wochenschrift (NJW 2014, 2529-2534) beschäftigt sich der Kölner Rechtsanwalt und Honorarprofessor Dr. Bernd Hirtz mit der Zukunft des Zivilprozesses. Den Hintergrund für den Artikel bildet das DJT-Gutachten des Bremer Professors Dr. Gralf-Peter Calliess zu möglichen Fortentwicklungen der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (siehe dazu auch den Beitrag zum amtsgerichtlichen Schnellverfahren für Verbraucherstreitigkeiten). Hirtz befasst sich in seinem Beitrag mit den Fallzahlen der Amts- und Landgerichte, mit dem Umgang mit überlangen Verfahren, mit der Behandlung komplexer Sachverhalte, mit Änderungen an der Geschäftsverteilung und Möglichkeiten zu weiterer Spezialisierung der Gerichte sowie mit einer Fortbildungspflicht für Rechtsanwälte. Aus der Perspektive der Verbraucherrechtsdurchsetzung sind insbesondere seine Anmerkungen zum Prozessschwund vor den Zivilgerichten sowie zur Gestaltung anwaltlicher Schriftsätze interessant.
Justizforschung notwendig zum Verständnis der Fallentwicklung
Hinsichtlich der vom Bundesamt für Statistik in den vergangenen Jahren kontinuierlich beobachteten rückläufigen Verfahrenseingänge vor den Amts- und Landgerichten tritt Hirtz der These von Calliess entgegen, dieser Prozessschwund sei einer Privatisierung der Justiz geschuldet, d.h. die Justiz verliere die Entscheidungshoheit über die einst gerichtlich verhandelten Streitigkeiten, weil diese nunmehr von privaten Konfliktmanagementanbietern entschieden würden. Hirtz zufolge ist gegenwärtig vielmehr sehr unklar, welche Entwicklungen den Prozessschwund bedingen; der leichte Rückgang bei Schiedsverfahren deute dabei eher in die Richtung, dass die Justizaufgaben nicht privatisiert würden, sondern die Ursachen für die rückläufigen Fallzahlen anderswo zu suchen seien. Diese Überlegung mag man dahingehend ergänzen, dass im Bereich der Amtsgerichte institutionelle Schlichtungsstellen und vor allem Rechtsschutzversicherer eine signifikant wachsende Bedeutung bei der Bewältigung von Rechtsstreitigkeiten spielen dürften, die sich womöglich in den gerichtlichen Fallzahlen widerspiegelt. Auch dies ist allerdings gegenwärtig eine Vermutung, die einer empirischen Überprüfung bedarf. Unabhängig von Vermutungen zur Privatisierung der Justiz stimmt Hirtz dem Petitum von Calliess zu, die Justizforschung zügig zu professionalisieren, um belastbare Erkenntnisse über die Rolle der Gerichte beim Umgang mit Rechtsstreitigkeiten zu gewinnen.
Schriftsatzstruktur zur Steigerung der Justizeffizienz?
Weiterhin beschäftigt sich Hirtz mit dem Vorschlag von Calliess, den Vortrag der Parteien einer Schriftsatzstruktur zu unterwerfen, um dem Richter die zeitraubende Arbeit der Ordnung des Sachverhalts zu ersparen. Dieser Idee steht Hirtz skeptisch gegenüber: „Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs trägt die Verführung in sich, demnächst (möglicherweise durch justizförmige Masken) Vorgaben zur äußeren und inhaltlichen Gestaltung von Schriftsätzen zu machen.“ Dabei sei das Ordnen und Filtern des Sachverhalts „ureigene richterliche Aufgabe“. Die Einengung des Parteivortrags in ein Strukturkorsett berge die Gefahr, „dass der Streit um Formalien … den eigentlichen Streit um Inhalte überlagert“. Hirtz ist zuzustimmen, dass es kontraproduktiv wäre, wenn die Einführung von Strukturvorgaben den Streit nur von der sachlichen Relevanz bestimmter Argumente auf die Einhaltung der Struktur verlagern würde. Angesichts dessen, dass das materielle Recht selbst in der Regel klare Strukturvorgaben macht, die im Schriftsatzalltag nicht selten verfehlt werden, wäre es aber möglicherweise einen Versuch wert, die Vorgabe von (am Gesetz orientierten) Schriftsatzstrukturen – womöglich sogar mit elektronischer Unterstützung – zu erproben.
Der Beitrag von Professor Hirtz findet sich in Heft 35 der NJW 2014.