Flucht in die Rechtsauffassung

In einem Beitrag für die Zeitschrift Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP 2015, 438) beschäftigt sich Rechtsanwalt Dr. Benjamin Stillner mit der Frage, inwieweit die Flucht in die Rechtsauffassung womöglich eine unlautere Irreführung von Verbrauchern darstellen kann.

Recht auf Meinungsäußerung gibt viel Raum

Im Grundsatz gibt das Recht auf freie Meinungsäußerung viel Raum für auch zunächst abwegig erscheinende Rechtsauffassungen. Die Grenze ist laut Stillner bei § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 7 UWG zu ziehen. Darin heißt es in der Neufassung nach der UWG-Novelle 2015:

Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: Rechte des Verbrauchers, insbesondere solche auf Grund von Garantieversprechen oder Gewährleistungsrechte bei Leistungsstörungen.

Kann sich ein Unternehmen angesichts dieser Vorschrift in eine juristische Mindermeinung flüchten, um die Ansprüche eines Kunden außergerichtlich abzuwehren? Laut Stillner ist der Meinungsfreiheit nach herrschender Meinung weiter Raum zu gewähren, so dass die Flucht in die Rechtsauffassung danach allenfalls dann im Sinne von § 5 UWG irreführend ist, wenn die nämliche Rechtsauffassung schlechterdings unvertretbar ist. Denn erst dann handele es sich tatsächlich nicht mehr um eine Rechtsauffassung, sondern um eine unzutreffende Tatsachenbehauptung, mithin eine „unwahre Angabe“ im Sinne der Vorschrift.

Flucht in die Rechtsauffassung: Vorschlag für eine Neufassung des § 5 Abs. 1 UWG

Diese Lösung ist Stillner zufolge allerdings dogmatisch kaum zu begründen, denn Art. 6 Abs. 1 der UGP-Richtlinie (pdf) differenziere nicht zwischen Tatsachen und Rechtsauffassung, sondern spreche allgemein von einer „Geschäftspraxis“. Weiterhin ergebe sich aus dem Urteil des EuGH vom 19. September 2013 in Sachen CHS Tour Services v. Team4 Travel (Az. C-435/11, Volltext), dass die Anwendung unternehmerischer Sorgfalt unbeachtlich sei. Deswegen müsse § 5 Abs. 1 UWG gegenwärtig richtlinienkonform ausgelegt werden. Für die Zukunft schlägt Stillner vor, in § 5 Abs. 1 UWG die Sätze 1 und 2 unter Beibehaltung der Nr. 1 bis 7 wie folgt zu ersetzen:

Eine geschäftliche Handlung ist irreführend und damit unlauter im Sinne des § 3 Absatz 1, wenn sie in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Umstände unwahre Angaben enthält oder in sonstiger Weise, selbst mit richtigen Angaben, geeignet ist, den Verbraucher, Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer zu täuschen, und ihn tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Handlung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte…